Hanns Armborst - Artefakte voller Sinnlichkeit und Ordnung

Flächen, Winkel, Kanten, harte Formen, Körper ohne Rundungen sind es, die der Bildhauer Hanns Armborst dem Betrachter auf weißen Sockeln präsentiert.
Präzise gefügte, blau und weiß lackierte Flächen bilden geometrische Körper, von denen Faszination und geheimnisvolle Erregung ausgehen. Elegante Winkel in einer wie eingefroren scheinenden Dynamik fügen sich zu betörenden Kuben, deren Einschnitte und Öffnungen Räume schaffen, die man klären möchte. Wie nehmen wir sie wahr und wie spielt unser Geist mit den Artefakten von Hanns Armborst?
Jede neue Deklination der dreidimensionalen Werke ist Anlass zu weiterem Sinnen, das weit über die Neugier nach dem Wie der Konstruktion hinausgreift. Bei aller Faszination der Kunstwerke muss betont werden, dass es keine Objekte für neuzeitliche Wunderkammern sind, keine Geometrie-Exponate mathematischer Museen oder Modelle im Dienst der Architektur. Das Verstehen als Symbol oder Illusion oder als Illustration geometrischer Phänomene wäre ein Missverständnis.
Nicht die Konstruktion trägt das Geheimnis Armborstscher Kuben, es sind vielmehr ihre subtile Wirkung und das Erleben eines Starts in ein Spiel eigener freier Reaktionen.
Hanns Armborst bedient sich der Geometrie, der, wie er es einmal formulierte "Potenz der Winkel und Schnitte", um die Wahrnehmung des von ihm geschaffenen Objektes selbst thematisieren zu können.
Trotz aller Vielfalt ist es nur ein relativ kleiner Bestand an Grundformen - Kuben, Quader und quadratische Säulen - an denen er sein aktuelles Repertoire erarbeitet. Die blau-weißen MDF-Kuben stehen seit etwa 2004 im Vordergrund seiner Arbeiten. In traditioneller Handarbeit konstruiert er Eingriffe, Schnitte und Winkelsetzungen, die diese Grundformen zu Elementen einer unendlichen Variation werden lassen. Auch wenn es nahe zu liegen scheint, so verzichtet der Künstler doch in allen Phasen der Ausführung auf den Einsatz des Computers.
Selbst komplexeste Konstruktionen im Kosmos Armborstscher Kuben sind mit der Hand geschaffen. Winkel und Schnitte, Einfügungen und Hohlräume, Sinus- und Kosinus-Berechnungen sind hochartifiziell und dennoch von Hand gemacht. Vorhandene Skizzen und Vorzeichnungen besitzen keinen eigenen Werkcharakter und werden konsequenterweise vom Künstler nicht gezeigt. Hochglanzpolierte Oberflächen interessieren ihn ebenso wenig, wie subjektive Gesten im Werk. Auch auf Titel, die die Wahrnehmung lenken könnten, verzichtet er bewusst.
Reizvoll ist die haptische Annäherung, das Begreifen der kühlen, glatt lackierten Flächen. Armborst lackiert alle Außenseiten weiß, alle Flächen im Inneren der Objekte blau. Farbe dient ihm so als semantische Hilfestellung beim sinnlichen Erfahren und intellektuellen Analysieren von Innen und Außen. Dabei geht er nicht doktrinär vor, immer steht die ästhetische Plausibilität seiner Kunstwerke vor der reinen mathematischen Stringenz. Blau und Weiß definieren also nur "fast immer" innere und äußere Flächen, lassen die komplizierten Räume aber immer erfahrbar werden.
Wichtiger als eine makellose Lackierung sind der Rhythmus und das spannungsreiche Verhältnis der Öffnungen und Flächen der Körper. Die ausgewogene Proportion jedes Einschnitts, jedes einzelnen Teiles im Verhältnis zu jedem anderen Teil und zum ganzen Objekt beachtet Hanns Armborst genau, unter anderem gründet sich hierin die Stärke, die "Potenz" des Einzelwerks. Mit dieser Auffassung steht er zugleich in einer Linie, die bis zu dem antiken Bildhauer Polyklet zurückreicht. In dessen Schrift "Kanon", am ehesten mit "Maßstab" zu übersetzten, vertraute er der Mathematik, insbesondere dem ausgeglichenen Zahlenverhältnis der Teile. Auf Zahlen und Proportionen, so glaubte Polyklet bereits vor mehr als 2400 Jahren, beruhe die Schönheit. Mit Hilfe der Realität der Zahlen werde die Schönheit selber real.
Armborsts erfundene Konstruktionen sind zugleich Inszenierungen denkbarer Ordnungen. Das Erleben einer dieser vorgestellten Varianten geht einher mit dem intuitiven Erfassen und Hinterfragen der implizierten unendlichen anderen möglichen Konstruktionen. Die intensive Befragung jeder einzelnen Form in Armborst Kunst kulminiert in der Frage nach all den anderen Möglichkeiten und immer auch in der Frage nach den eigenen Erwartungen.
Jeder Winkel, jeder Eingriff schafft ein neues Spannungsfeld, in welchem der Betrachter zugleich die Gefährdung der idealen Form ahnt und sich - sofern die Kontrolle des gesteuerten Bewusstseins dies nicht verhindert - Fantasie und Emotionen überlassen kann.
Die Sockel, auf denen der Künstler seine Arbeiten zeigt, schaffen den Raum, in dem virtuell mit den Objekten gespielt werden kann. Als Bezugspunkt für die eigenen Bewegungen des Betrachters erleichtert der Sockel das optische Durchdeklinieren der Objekte. Armborst Kunstwerke sind allansichtig, sie haben keinen festen "Einstiegspunkt" für die Erfassung und bieten eine Vielzahl von Blickwinkeln, Perspektiven und Räumlichkeiten.
Es ist ein besonderes Erlebnis, in Ausstellungen oder im Atelier gleich mehrere Werke Armborsts nebeneinander zu sehen und die Präzision, die vielfältigen fantasievollen Varianten zu erleben und über die wahrgenommenen Erscheinungen zu philosophieren. Eine einzelne Arbeit impliziert bereits alle möglichen Reflektionen über ideale Form, Eingriff und Veränderung und die eigene Reaktion darauf.
Das Erfassen der Werke Hanns Armborsts ist bestimmt von einem unwillkürlichen, fast automatisch ablaufenden Vergleich mit individuellen, schon im eigenen Erfahrungsschatz vorhandenen Assoziationen und Bezügen. Liefern die blau-weißen offenen Kuben nicht doch Reminiszenzen an Bekanntes - ist hier ein Hausmodell, dort ein künstlicher Raum, ein Bühnenraum gar, zu entdecken?
Die Stärke und Aura von Armborsts Kunst liegt letztlich darin, dass sie jede eindeutige Antwort bewusst schuldig bleibt und den Betrachter so auf seine eigenen Fragen verweist, Fragen nach Sinnlichkeit und Ordnung.


Ralf Hartweg, 2008, im Katalog "Hanns Armborst - Kuben und quadratische Säulen"

Impressum
www.hanns-armborst.de